Gassi gehen mit Wison, ein knappes Frühstück, dann wecke ich Petra zum Verabschieden. Auf geht es, zum Bahnhof, ins Ungewisse.
Am Vorabend hatte ich vergeblich versucht, an eine Karte für mein Fahrrad zu kommen oder auch nur eine Information zu erhalten, wie das zu bewerkstelligen sei. Corona hatte alle verunsichert, die Aussagen, ob und wie ich bis mit Ausrüstung und Velo nach Maastricht gelangen würde, ja, ob das überhaupt gestattet wäre, waren widersprüchlich und verunsichernd. Immerhin hatte ich für mich eine Fahrkarte in der Tasche.
Düsseldorf, Umsteigen ohne Probleme.
Venlo. 9 uur, der Ticket Verkauf öffnet. 3 Minuten Zeit, eine Fahrradkarte zu erwerben. Das System fährt hoch. Ich erkläre meinen Wunsch. Die freundliche Frau vom Service wartet auf den Bildschirm, der den Kaufvorgang ermöglichen soll. 9€ – zahle ich schon mal. Sie sagt es würde knapp, aber sie tippt. Ich sage, ich schaffe das. Sie sagt, dass es bis gestern verboten gewesen sei, ein Fahrrad mitzunehmen. Wir warten auf den Drucker. Da endlich ist das Ticket – und los – Treppe runter, durch die Unterführung, Treppe rauf. Ich sehe noch die Schlusslichter.
Der nächste Zug kommt pünktlich eine halbe Stunde später.
Maastricht, die Tour per Fahrrad beginnt.
2.7.20 | Maastricht – Namur 96 km
Raus aus dem Zug, rauf aufs Rad.
Fürs Einradeln waren es anstrengende 96 km, einmal mit „Alles“: Regenschauer, Gegenwind, Platten. An Lüttich (Liége) vorbei ins Industriegebiet mit Betonwerken, die einem Rad und Lunge verdrecken, dass man umkehren möchte. Mit Autoverkehr zum Fürchten. Mit den ersten Strapazen einer Reise ins Ungewisse.
Aber es kann nur besser werden, die Vorfreude ist ungetrübt.
1,2,3,4,5,6 die Maas
7 Gruppe, die Zeugen meines ersten Platten waren.
Gestern habe ich mich gequält.
Heute lief es flüssiger. Die letzten 30 km konnte ich den Schnitt noch verbessern, während ich gestern auf den letzten 10 abgebrochen bin.
Die Meuse ist auf diesem Stück lieblich, vergleichbar mit der Mosel. Aber da hier kein Wein angebaut wird, ist es auf dem Weg zwischen den Dörfern richtig einsam.
Schöne Gespräche unterwegs mit einem Schweizer, der in der Walonie wegen einer Frau hängen geblieben ist, mit einem Kioskbesitzerpäarchen, die nächste Woche Besuch aus Dortmund erwarten und einem Franzosen, der mir 5 km ersparte, indem er mir die Abkürzung durch einen Tunnel empfahl, der parallel der Meuse führt.
Das Hotel ist gut. „Le boucle de la Meuse“.
Ich muss an den Bremsen basteln, die neuen Bremsbeläge quietschen und schleifen, das bremst unnötig.
Nach 76 km komme ich ausgepumpt im Nirgendwo an, ein Gite-Schild verführt mich anzuhalten. Keiner da, der mir aufmachen könnte. Ich frage bei den Nachbarn. Eine junge Frau erklärt, dass sie selbst gerade ein Haus renoviert, ein Zimmer sei schon fertig, das könne ich haben. Sie könne auch was zum Essen organisieren. Gemacht.
Willkommen auf der Baustelle. Das Zimmer ist nett. Heißes Wasser gibt es nach einer halben Stunde. Die Mutter wohnt im Ort und als ich in Unterhose nach einem Handtuch frage, wird der Sohn zur Oma geschickt. 10 Minuten später bin ich der erste Gast in der Dusche.
Heute gibt es nur ein Bier und der Wurstteller wird direkt vom Bauernhof geliefert.
1,2,3 am Kanal
4,5,6 das Dorf im Nirgendwo
Das Frühstück in dem Haus, in dem ich Premierengast war und es ganz für mich allein hatte, war spärlich. Ein Beutelchen Café Decafinato, ein halbes Baguette, ein wenig Kirschmarmelade. Der Rest Käse von gestern peppte es ein wenig auf.
Der Tag lässt sich ziemlich genau zweiteilen. 55 km Regen, wobei ich die Meuse nicht zu Gesicht bekam, weil ich abseits durch hügelige Gebiete geführt wurde. Dann klarte es auf und ein Seitenkanal war zunächst eben und gut befahrbar.
Dummerweise frischt, wenn die Sonne raus kommt, auch direkt wieder der Wind auf. Und dummerweise war der Randweg für die letzten 20 km schier undurchdringlich zugewachsen, sodass dann doch wieder wie am Anfang hügelige Straßen gefunden werden mussten.
Aber Ziel erreicht und der Ort ist groß genug, dass ich was zum Essen finde.
1 das Regenhäuschen
2 ein der vielen Schleusen
3 am Kanal
4 die Füße brennen
Was so alles geht.
Gestern war es mir nicht gelungen, die Bilder hochzuladen. Das geht normalerweise so, dass man der Seite picability eine Mail schickt und die macht dann daraus einen Beitrag. Es stand diesmal aber nur der Text, nüchtern und trocken da. Da gibt es eine App, mit der man Zugriff auf die Seite haben kann, man muss das Passwort wissen und kann reparieren. Nun ist Frankreich groß. Viel größer als Deutschland. Hat auch weniger Einwohner. Aber überall gibt es ein Netz mit 3 oder 4G, selbst in den kleinsten Dörfern. Und so habe ich die Seite quasi vom Acker aus pflegen können.
Velogedicht
Winken die Gräser von vorn dir entgegen,
Musst du dich in die Pedale legen.
Winken sie dir aber hinterher
Fällt das Treten dir nicht schwer.
Rucksack, war das eine gute Idee?
Heute jedenfalls nicht. Die linke Schulter schmerzte. So habe ich für 20 km der Satteltasche zugemutet, den Rucksack zu tragen. Der Sattel knurrte, hielt aber durch und die Schulter hatte Zeit, sich zu erholen. Super Team.
1 die Aussicht im Hotel de la Gare
2 weites Land
3 naive Kunst
4 die Satteltasche hilft
Bilderbuchwetter, blauer Himmel, kleine Wolkentupfer, nicht zu warm. Nach üppigem Frühstück und reichlich Sonnencreme läuft es gut an. Ein Etappenziel für heute ist die Quelle der Meuse, der ich seit Maastricht gefolgt bin, das Zweite ist Langres. Die Tagestour wird sehr bergig, in seinem letzten Teil meandert das Flüßchen durch das recht flache Tal, die Straßen ziehen gerade in gebührendem Abstand über Berg und Tal.
Nach der Quelle, die sich als europäisches Ereignis auf Bronzetafeln ehren lässt, bleibt es ekelig hügelig und das mittelaltrige Langres liegt schier unbezwingbar auf einem Bergrücken.
Ich schiebe!
Mein Pony darf bei IBIS neben mir schlafen.
1 ein Selfie
2 endlose Einsamkeit
3 Mittagspause an der Quelle der Meuse
4 die Quelle
5 Langres
6 im Ibis-Budget
Aber laut Komoot ist das heute die erste rote, und damit mittelschwere Etappe, die sechs vorher waren schwarz, sprich schwer.
Wer sich ein wenig mit Geografie oder Fahrradfahren oder Meteologie auskennt, der weiß, dass Dijon mehr westlich als Langres liegt. Das bedeutete bei westlichen Winden und trotz eines Gesamtpluses an Gefälle, dass meine Laune nach 45 km immer dunkelroter wurde und gegen schwarz tendiere.
Jetzt wurde es aber wieder farbiger. Ein kleiner blauer Punkt auf dem Display meines Navigators verhieß Abkühlung, meine Schulter war sehr einverstanden und das leuchtend rote Schild mit „Baden verboten“ keine Hindernis. Dunkegrünes erfrischend kühles Wasser.
1,2 der Kanal
3,4 einsame Straßen
5 der Badesee
6 l’autoroute
Die windigen Geschichten sind vielen meiner treuen Leser zu leichte Kost. Also heute mal: Big Business. Oder,wie der Franzose sagt: Les grands affaires.
Meine linke Schulter schreit „bittebitte“ die Beine applaudieren. Warmes Entspannen.
Dijon, ich streife hungrig durch die Stadt. 150 Tausend Einwohner, TripAdvisor zählt Hunderte von Gaststätten auf, Google weiß über Dijon von Straßenschlachten zwischen
Tschetschenen und Nordafrikanern, es ging aber wohl nicht ums Abendessen, sondern um Drogen. Ich suche in der App nach einem Italiener, seit Tagen sehne ich mich nach einem großen Teller Spaghetti Bolognese, wie ihn Jan Ulrich seinerzeit gerne zum Schlüssel seines Erfolges stilisierte. Die App zeigt mir den Weg zu den Markthallen.
Der Patron meines Ristorantes hat die Dollarzeichen knapp über der Maske: für eine Person? Kein Platz, non.
Die Stadt ist rappelvoll, die Terrassen sind es auch, Corona? Olé!
Ach ja, die Tour von heute? Flach wie ein Brett. Wind? Keinen gesehen!
Wetter? Willkommen im Süden …
1 wieder ein Kanal
2 die Sâone lädt ein
3,4 die Sâone
5 mein Pony, vom Bier aus gesehen
Es liegt ein Gewitter in der Luft, es ist drückend, dickere Wolken ziehen auf. Am späten Nachmittag wird es was geben.
Um halb zwei bin ich aber schon am Zielort angekommen, mit 64 km eine unterdurchschnittlich Tagesleistung. Aber um morgen in Lyon bei Freunden einzutreffen, muss ich diese zwei Tage irgendwie kürzen, um nicht übers Ziel hinaus zu schießen.
Um sechs geht der Wecker irgendeines Nachbarn im Hotel für eine Minute. Nach fünf Minuten wieder. Bei der dritten Runde stehe ich auf. Die üblichen Morgenrituale mit Muskelpflege und Taschen packen, das Fahrrad aus der Garage holen, ein kleines Frühstück um die Ecke an der Straße vor der Boulangerie.
Nach genannter Länge bin ich wild entschlossen, landeinwärts zu fahren, um nach Straßen zu suchen, die diesen Namen verdienen, just da wies mich ein Schild darauf hin, dass ab dieser Stelle der Randweg wohl befestigt sei.
Durchgerüttelt bis auf die Knochen glättete sich fürderhin der Weg und aufgewühlte Seele.
1, 2 Abendstimmung in Charlon
3, 4, 5 die Sâone bei Tournus
6 große Wäsche
7 Kreisverkehr vor meinem Hotelfenster
RÜCKENWIND [mistʀal]
Wunderbar
Was bedeutet Rückenwind? Es kann bedeuten, dass der oder die Ängstliche permanent bremsen muss, um nicht zu schnell zu werden. Für mich, der Bremsen gar nicht mag, war es das erste Mal auf dieser Tour, dass ich nach 70 km einen Schnitt von über 27 km/h auf dem Display hatte und die Etappe nach Lyon zum Katzensprung wurde. Aber beginnen wir ganz vorne!
RÜCKENSCHMERZEN [dulœʀ dɑ͂ lə do]
Grässlich
War es der Drecksweg von gestern, die Matratze des Hotels oder einfach, dass ich mich verlegen hatte, der Rücken im Bereich Lendenwirbel signalisierte: Totalausfall! Nix geht mehr! Dann rollt die Panikmaschine an. Was machen? Es sind noch 300 km bis zum Ziel nach Labastide! Gegenüber wäre der Bahnhof! … Erstmal das Doc-Gel einsetzen!
Nach dem Urlaub brauche ich erst einmal Erholung! Es sind, glaube ich, die permanenten Adrenalinschübe, die einen fix und fertig machen. Wo ist das Handy?, welcher Weg ist der richtige?, hab ich mich beim Geldabheben pischen oder fischen lassen? Es bedeutet Dauerstreß, wenn man alleine auf alles aufpassen muss.
Nach einer Stunde Frühstück sind alle Schmerzen gegessen oder wie weggeblasen. Der Spaß beginnt. (s.o.)
1 Es hat gestern tatsächlich noch geregnet
2 letzter Blick auf Mâcon
3,4 die Sâone
5,6 Markt, Café
12.7.20 | Lyon – Valence – Pouzin, 148 km
So langsam geht die schöne Reise ihrer Schussetappe entgegen. Da wird es Zeit, auch weil Alexander nachfragte, einmal mein Team vorzustellen.
Wir sind ja eine mittlerweile eingeschworene Gemeinschaft, die auch mehr oder weniger gut zusammenarbeitet.
Zu nennen sind da in erster Linie drei Arbeitsgruppen mit verschiedenen Funktionen, welche aber durchaus ineinander greifen.
Wichtigster Teil für eine Fahrradtour ist und bleibt der Mensch, der gute Fahrräder baut. Bei uns war es einer, der ein leichtes, sportives Rad entwarf, welches auf unserer Tour gut mitarbeitet, sich aber auch immer mal wieder meldet, um gepflegt zu werden. Hier bitte mal an den Bremsen werkeln oder da auch mal die Gangschaltung justieren. Den Platten lassen wir an dieser Stelle einmal unerwähnt. Jeder kann mal aus der Puste geraten.
Dann gibt es die Abteilung Gepäck. Die Rahmentasche ist relativ unkompliziert. Wenn sie meint, sie wäre zu voll, schabt sie solange an den Oberschenkeln herum, bis sie sich wohlfühlt.
Auch die Satteltasche macht eigentlich gut mit.
Mit fünf Kilogramm trägt sie einen Großteil der Last. Nachdem ich ihr allerdings für drei Tage die Aufgabe übertrug, den Rucksack mit zu übernehmen, platze ihr die Hutschnur, sie drohte mit Auflösungserscheinungen im Befestigungsbereich und hatte letztendlich die besseren Argumente. Ich musste klein beigeben.
Der Rucksack konnte nichts dafür. Er war recht flexibel und anpassungsfähig, aber morgens mit dem zwei Liter Wassersack neben mir der Schwerste der Truppe.
An dieser Stelle muss ich mal Namen nennen. Schwachpunkt der ganzen Reise ist, ich sage es ungern, die linke Schulter. Morgens beim Aufstehen heißt es immer: „Ich will mit, ich will mit, ich bin gut drauf, alles top.“ Aber dann nach 10 bis 20 Kilometern geht das Gejammer los. „Ich kann nicht mehr, will ne Pause, Scheiß Rucksack.“
Alle im Team sind dann ein wenig angefressen und ich muss moderieren. Satteltasche, willst du noch mal? Rechte Schulter, kannst du mal ein Stück alleine machen? Oder sollen wir alle mal eine kleine Pause machen?
Naja, letztendlich gehts ja immer weiter und wir passen ja auch ganz gut zusammen. Wenn wir nur die Mimose nicht dabei hätten.
1 Treffen mit Christian und Babeth bei Sohn Blaise, Maria, Mathilde und Astrid
2 erstes Treffen mit der Rhône
3-9 Eindrücke vom Fluss
Eins ist ja mal klar, auf der Schlussetappe greift keiner mehr an! Da stand der Sieger also gestern schon fest.
Mit der letzten Etappe bin ich 1130 km geradelt, bin knappe 6000 m hoch gekraxelt und auch wieder talwärts geheizt.
Heute also „nur noch“ die 70 km Mistral auskosten, danach die doch etwas anstrengende Bergwertung angehen, die letzten vier davon rollen lassen, und dann der Zieleinlauf in Labastide de Virac.
Der Champs-Élysées heißt hier Rue Central und es waren jetzt auch nicht sooo viele Menschen gekommen. Das gab mir jetzt aber die Gelegenheit, meinem Team ganz in Ruhe meine tiefe Anerkennung auszusprechen und es dann zu verabschieden.
Ich danke aber auch euch, ihr treuen Begleiter meiner 12 Tage. Ihr habt mir Spaß bereitet mit euren Rückmeldungen, es war schön, mit Publikum zu fahren und wenn man die dunklen Momente ans Licht holen und teilen kann, sind es Leuchtpunkte in der Nacht, die Mut und Kraft geben für den neuen Tag.
Und so geht auch diese Geschichte, die Höhen, Tiefen und viele Längen hatte, zu Ende. Behaltet mich in guter Erinnerung, denn ich bin im Geiste bei euch und werde es auch physisch sein, wenn ihr mich einladen werdet zu Kaffee und Kuchen oder auch zu einem Abendbrote, dass ich euch künden kann von den Dingen, die ihr Menschen niemals glauben würdet, und die ich an dieser Stelle verschwieg.
Bleibt gesund, wir sehen uns!
1 in den Weiten des Rhônetals
2 … Brücken …
3 und Energie
4 … Brücken …
5,6 und noch mehr Weiten
7 ein letzter Café vor dem Anstieg
8,9 nur noch rollen lassen
10 das Pony vor dem Stall
… und schon wieder zu Hause in Labastide und im Lokalteil der NRZ-MH!